Einleitung:
Deutschland will bis 2045 klimaneutral wirtschaften. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Stromsektor bis 2035 weitgehend ohne Treibhausgas-Emissionen auskommen. Bereits bis 2030 sollen mindestens 80% des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Dabei spielt der Ausbau der erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle. Ebendieser muss massiv beschleunigt werden, wobei der Fokus auf der Solarenergie liegt. Durch das verabschiedete Solarpaket II soll insbesondere die Solar- sowie Photovoltaikindustrie ausgebaut werden. Dabei sollen die folgend dargestellten Regelungen bzw. Änderungen ab dem 01.06.2024 in Kraft treten.
Pläne:
Die Bundesregierung strebt neue und höhere Ausbauziele durch das Solarpaket an. Allein in diesem Jahr sollen 13 GW und im nächsten Jahr (2025) 18 GW Solarleistung dazukommen. Bis 2023 sind 215 GW das Ziel (Mehr Photovoltaik mit Solarpaket | Bundesregierung). Dabei soll sich die Hälfte des geplanten Zubaus aus Dachanlagen ergeben. Dafür muss die Akzeptanz für Photovoltaik sowie dessen Teilhabe gestärkt werden. Dazu ist es erforderlich, dass die Kommunen finanziell gestärkt bzw. beteiligt werden und gleichzeitig einfache(re) Regelungen für Bürgerenergie bzw. Bürgerenergiegesellschaften geschaffen werden (EnK-Aktuell 2023, 010132).
Aktueller Stand:
Nach einem aktuellen Bericht des Bundesumweltamtes (BUA) zeigt sich, dass allein im Jahr 2023 die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mehr als zehn Prozent gesunken sind. Dies ist vor allem mit dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine beachtlich, da befürchtet wurde, die Kohle und somit fossile Brennstoffe erhalten eine Renaissance. Aufgrund dieser Ergebnisse erscheinen die Klimaziele für 2030 das erste Mal greifbar, sodass die Klimaschutzlücke 2030 vollständig geschlossen sein wird. Gleichzeitig wird dennoch deutlich, dass die Bereiche Verkehr und Gebäude die Klimaziele 2030 nicht erreichen werden, wenn nicht schnell weitere Maßnahmen getroffen werden (Wo steht Deutschland bei seinen Klimazielen? | Bundesregierung).
Mieterstrom und Balkonkraftwerke:
Im August 2023 wurde das sogenannte Solarpaket I beschlossen, welches den Ausbau von Photovoltaik in Deutschland zum Ziel hat. Einen wichtigen Aspekt stellen dabei die sogenannten Balkonkraftwerke dar.
Unter Balkonkraftwerken sind steckerfertige PV-Anlagen zu verstehen, die aus ein oder zwei Solarmodulen sowie einem Wechselrichter und Anschlusskabel bestehen (EnK-Aktuell, 2023, 010176). Diese Anlagen können an Balkonen von Mietshäusern angebracht werden. Aktuell sind die Balkonkraftwerke auf eine Leistung von 600 W beschränkt.
Allein im Jahr 2023 wurden 300.000 Balkonkraftwerke erreichtet und registriert. Aus diesem Grund ist eine Vereinfachung der Abläufe praxisgerecht und für die Funktionalität unerlässlich. Durch geringe Bürokratisierung soll der Solarzubau beschleunigt werden.
Jedoch zeigt eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) aus dem Jahr 2022, dass nur ca. 37% aller Anlagen ordnungsgemäß angemeldet sind. Als Gründe werden die aufwendige Anmeldung ebensolcher Balkonkraftwerke genannt, ebenso Unsicherheiten über die eigenen Pflichten aber auch die ablehnende Haltung der Netzbetreiber (Nutzung von Steckersolargeräten 2022 | HTW Berlin (htw-berlin.de)).
Mit dem 01.04.2024 hat die Bundesnetzagentur die Registrierung von Balkonkraftwerken vereinfacht. Dies hat zur Folge, dass nur noch eine Registrierung im Marktstammdatenregister ausreicht. Somit müssen Balkonkraftwerke nicht mehr beim Netzbetreiber angemeldet werden.
Seit April 2024 sollen neue Balkonkraftwerke nicht mehr durch den (zwingenden) Einbau eines Zweirichtungszählers verhindert werden. Im Rahmen einer Übergangsphase dürfen auch weiterhin die alten Ferraris-zähler genutzt werden. In diesem Fall läuft der bisherige Stromzähler rückwärts, wenn Strom in das Netz eingespeist wird.
Weiterhin sollen die Balkon-PV-Anlagen leistungsfähiger sein. Auch für leistungsfähiger Anlagen gilt künftig eine vereinfachte Anmeldung.
Schließlich soll in Zukunft der herkömmliche Schukostecker ausreichen. Somit ist eine Erleichterung der Installation in Aussicht zu stellen; jedoch müssen noch die entsprechende Norm(en) gemeinsam mit Verbänden erarbeitet werden.
Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung:
Eine Neuerung stellt auch das Instrument der „Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ dar. Künftig sollen in Mehrfamilienhäuser die Stromerzeugnisse aus den Solaranlagen auf Dächern oder an Balkonen direkt an Mieter:innen weitergegeben werden. Somit soll auf die Einspeisung ins allgemeine Stromnetz verzichtet werden.
Eine genauere Erörterung zur „Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ seitens der Bundesregierung zusammen mit der Industrie ist noch ausstehend. Ziel dieser Erörterung ist jedoch die Stärkung des Schutzes von Verbraucher:innen. Rechtliche Bestimmungen dazu sollen sich künftig in § 42b EnWG finden.
Zudem werden künftig Regelungen zu Abrechnungen sowie rechtzeitigen Ankündigungen bei Versorgeunterbrechungen genau festgelegt. Dadurch können Mieter:innen künftig selbst einen günstigen Ergänzungstarif für Strom abschließen können, der nicht durch den günstigen PV abgedeckt wird.
Neben der Stromerzeugung durch Balkonkraftwerke soll nun auch der Mieterstrom, welcher durch Anlagen auf Gewerbegebäuden, Nebenanlagen sowie Garagen erzeugt wird, gezielt gefördert werden. („Solarpaket 1“ geht mit einigen Änderungen und ohne Resilienzbonus in den Ausschuss – pv magazine Deutschland (pv-magazine.de)). Der dort erzeugte Strom soll sofort verbraucht werden, sodass die Netzdurchleitung an dieser Stelle entfiele.
Darüber hinaus soll Mieterstrom durch Anlagen auf Gewerbegebäuden, Nebenanlagen sowie Garagen gezielt gefördert werden, indem der dort erzeugte Strom sofort verbraucht wird. Die Netzdurchleitung entfiele an diese Stelle. Dadurch entsteht die Chance der Zusammenfassung mehrerer Anlagen und gleichzeitig werden unverhältnismäßige technische Anforderungen – insbesondere in Wohnquartieren – vermieden (20230816-uberblickspapier-solarpaket.pdf (bmwk.de)).
Der neue § 42b EnWG:
Während § 42a EnWG weiterhin die Mieterstromverträge regelt – auch wenn es geringfügig Änderungen an dieser Norm gibt – wird ein neuer § 42b EnWG eingeführt, welcher Bestimmungen für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung schafft. Durch § 42b EnWG sollen die bereits angesprochenen Mieterstromanlagen auf Gewerbegebäuden, Nebenanlagen und Garagen gesetzlich erfasst werden. Die „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ steht als eigenständiges Modell neben § 42a EnWG und soll den erzeugungsnahen Verbrauch von Strom aus Sonnenenergie garantieren bzw. ermöglichen.
In § 42b I EnWG wird der sog. Gebäudestromnutzungsvertrag geregelt, wobei es sich um einen privatrechtlichen Vertrag zwischen den Betreibenden der Gebäudestromanlage und den Mietenden bzw. Miteigentümer:innen von Wohnungen oder Gewerberäumen handelt. Erforderlich ist lediglich, dass sich die Anlage in, auf oder an demselben Gebäude befindet, wie der Wohn- bzw. Gewerberaum. Die Mietenden bzw. Miteigentümer:innen werden so zum Letztverbraucher. Auch darf keine Netzdurchleitung erfolgen.
§ 42b II EnWG regelt die notwendigen Inhalte eines Gebäudestromnutzungsvertrages. Erforderlich ist jedenfalls die Vereinbarung eines Aufteilungsschlüssels, wobei den Parteien die Entscheidung überlassen wird, ob sie einen statischen oder dynamischen Schlüssel verwenden, § 42b II Nr. 1 EnWG. Bei einem statischen Aufteilungsschlüssel werden bestimmte, gleichbleibende Anteile der produzierten Menge in bestimmten Zeitintervallen festgelegt. Bei einem dynamischen Aufteilungsschlüssel können zusätzlich Strommengen durch andere Letztverbraucher in Anspruch genommen werden, die von den einzelnen Letztverbrauchern zuvor nicht genutzt wurde. Die Aufschlüsselung erfolgt indem, die im jeweiligen Zeitintervall erzeugte Menge ohne Begrenzung auf einen festen Anteil auf die teilnehmenden Letztverbraucher verteilt, welche den Strom in diesem Zeitintervall tatsächlich verbrauchen. Danach wird die Menge der erzeugten Energie, die den Verbrauch übersteigt, anteilig auf die einzelnen Letztverbraucher verteilt, wobei sich die Anteile jeweils aus der Stromverbrauchsmenge im Zeitintervall ergeben.
Mit § 42b II Nr. 2 EnWG wird die entgeltliche Gegenleistung geregelt und für zulässig erklärt.
Durch § 42b II Nr. 3 EnWG sollen die Vertragsparteien genau festlegen, wer der beiden Parteien für Betrieb, Erhaltung sowie Wartung der PV-Anlage zuständig sein soll.
Hingegen ist § 42b III EnWG sehr klarstellend formuliert, indem Gegenstand des Gebäudestromnutzungsvertrages nur die Versorgung mit dem durch die Gebäudestromanlage erzeugten Stromes sein kann. Insbesondere werden in § 42b III 4 EnWG Pflichten des Betreibers geregelt; er muss informieren, wenn die Anlage aus anderen Gründen als Witterung oder Tageszeiten über einen erheblichen Zeitraum keinen Solarstrom erzeugen kann. Gleichzeitig muss der Betreiber auch informieren, wenn die Anlage ihren Betrieb wiederaufnimmt.
In § 42b IV EnWG wird die Anwendbarkeit von anderen Normen aus dem EnWG betreffend die Energielieferverträge auf den Gebäudestromnutzungsvertrag geregelt.
§ 42b V EnWG macht Vorgabe für die Zuteilung der durch die Gebäudestromanlage erzeugten Energie auf die teilnehmenden Letztverbraucher auf Basis des Aufteilungsschlüssel aus § 42b II EnWG. Grundsätzlich hat die Zuteilung der Strommenge rechnerisch zu erfolgen, § 42b V 1 EnWG, wobei die Zeitintervalle von 15 Minuten maßgeblich sind. In § 42b V 3 EnWG findet sich eine Zweifelsregelung für den Fall, dass der Aufteilungsschlüssel gar nicht oder nicht wirksam vereinbart wurde oder dieser mit den einzelnen Letztverbrauchern inkompatibel ist.
Schließlich kann nach § 42b VI EnWG der Gebäudestromnutzungsvertrag auch durch eine Beschlussfassung nach dem WEG ersetzt werden, wobei die Regelungen von § 42b I-V EnWG entsprechend anzuwenden sind. Dabei muss zwischen zwei Ebenen differenziert werden: Die erste Ebene betrifft die Entscheidung, ob überhaupt eine Solaranlage bzw. ein Balkonkraftwerk errichtet werden soll. Die zweite Ebene hingegen betrifft die Begründung und Regelung individueller Nutzungsrechte der teilnehmenden Letztverbraucher.
Entbürokratisierung:
Durch die Neuerungen soll der Betrieb von PV-Anlagen deutlich entbürokratisiert werden. Dies zeigt sich zum einen bei der Inbetriebnahme von Balkonkraftwerken und zum anderen bei Anlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 100 Kilowatt zur Direktvermarktung. Bisher waren letztere zur Direktvermarktung verpflichtet. Nun sollen Anlagebetreiber ihre Überschussmengen auch ohne Vergütung aber auch ohne Direktvermarktungskosten an Netzbetreiber weitergeben können und dürfen. Dies stellt einen erheblichen Vorteil für Anlagebetreiber mit hohem Eigenverbrauch dar. So sollen in Zukunft mehr PV-Anlagen ohne erheblichen Aufwand auf großen Dächern installiert werden. Auch entfallen Anlagenzertifikate, sofern die Einspeiseleistung unter 270 kW oder eine installierte Leistung von mehr als 500 kW nicht überschreitet. Bleiben die Werte unterhalb dieser Schwellen, ist ein einfacher Nachweis über Einheitenzertifikate ausreichend. (Mehr Photovoltaik mit Solarpaket | Bundesregierung)
Fazit:
Fazit: Das Solarpaket stellt eine wichtige Neuerung für die Erreichung der Klimaziele dar. Durch Entbürokratisierung und rechtliche Vereinfachungen soll der private Ausbau von PV-Anlagen erleichtert werden. Gerade auch die neu geschaffenen Möglichkeiten zur Gebäudestromversorgung auf Gewerbeanlagen, Garagen und Nebengebäuden soll einen zusätzlichen Anreiz geben, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Die Klimaneutralität der Wirtschaft kann somit in greifbare Nähe rücken.
Für weitere Informationen sprechen Sie gerne Herrn Prof. Dr. Sven-Joachim Otto an.