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RED II, norwegischer Grünstrom und die Rolle der AIB – Kritische Betrachtung

Doppelte Maßstäbe bei der Doppeltvermarktung

Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der Europäischen Union ist ein zentrales Instrument der europäischen Klimapolitik, das darauf abzielt, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 erheblich zu steigern. Neben verbindlichen Zielen für den Ausbau erneuerbarer Energien setzt RED II auf Herkunftsnachweise, um den Handel mit grünem Strom transparent zu gestalten. Ein Land, das in diesem System eine prominente Rolle spielt, ist Norwegen, das nahezu ausschließlich erneuerbaren Strom produziert. Die Praxis, diesen „norwegischen Grünstrom“ über Herkunftsnachweise zu vermarkten, ist jedoch nicht unumstritten.

Was ist RED II?

Die RED II-Richtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, bis 2030 mindestens 32 % des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken. Ein zentrales Instrument zur Umsetzung dieses Ziels sind Herkunftsnachweise (Guarantees of Origin, GoO). Diese Zertifikate dienen dazu, den Ursprung von Strom aus erneuerbaren Quellen nachzuweisen und ihn als „grün“ zu kennzeichnen, unabhängig davon, wo er physisch verbraucht wird. Dies schafft einen Markt für grüne Zertifikate, der es Unternehmen und Verbrauchern ermöglicht, den Bezug von Grünstrom zu beanspruchen – oft jedoch ohne direkten Einfluss auf die physische Stromerzeugung vor Ort.

Norwegischer Grünstrom – Eine kritische Perspektive

Norwegen, das fast seinen gesamten Strombedarf aus Wasserkraft deckt, nimmt in diesem System eine besondere Stellung ein. Da das Land außerhalb der EU, aber Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist, kann es dennoch aktiv am Handel mit Herkunftsnachweisen teilnehmen. Norwegen verkauft jährlich große Mengen dieser Zertifikate in die EU. Dabei wird der „grüne“ Charakter seines Stroms oft an andere Länder weitergegeben, obwohl der physische Strom weiterhin in Norwegen verbraucht wird.

Diese Praxis ist kritisch zu betrachten, da sie zu einer sogenannten „Doppelnutzung" führt: Während Norwegen seinen Strom physisch aus erneuerbaren Energien bezieht, verkauft es die Zertifikate, die diesen Strom als grün ausweisen, an andere europäische Länder. Diese Länder können dann behaupten, sie nutzten erneuerbare Energien, obwohl der physisch verbrauchte Strom womöglich aus fossilen oder nuklearen Quellen stammt. In der Folge kann Norwegen den Eindruck erwecken, dass es doppelt profitiert – einerseits von der eigenen Versorgung mit erneuerbarer Energie und andererseits durch den Verkauf der „Grünstromzertifikate“ an den Rest Europas.

Kritikpunkte:

- Scheinbare Nachhaltigkeit: Länder, die norwegische Grünstromzertifikate erwerben, verbessern lediglich auf dem Papier ihre Nachhaltigkeitsbilanz, ohne dass sich die tatsächliche Energieerzeugung vor Ort ändert.

- Schwächung der Energiewende in anderen Ländern: Durch den Erwerb dieser Zertifikate können Unternehmen und Staaten der Versuchung erliegen, den Ausbau erneuerbarer Energien im eigenen Land zu verzögern oder zu vernachlässigen, da sie auf dem Papier bereits „grüne“ Energie nutzen.

- Verzerrung des Marktes: Norwegen nutzt seine Wasserkraftproduktion, um die Zertifikate zu exportieren, was zu einer Situation führt, in der die physische Realität der Stromerzeugung und die formale Zertifizierung von Grünstrom nicht übereinstimmen. Diese Marktverzerrung kann den eigentlichen Zielen der Energiewende entgegenwirken.

Die Rolle der AIB

Die Association of Issuing Bodies (AIB) spielt eine zentrale Rolle beim Handel mit Herkunftsnachweisen in Europa. Sie verwaltet das European Energy Certificate System (EECS), das die Grundlage für den Handel mit diesen Zertifikaten bildet. Durch die AIB können Herkunftsnachweise über Ländergrenzen hinweg gehandelt werden, was den internationalen Grünstrommarkt stärkt.

Die AIB sorgt zwar für Transparenz im Zertifikatehandel, doch das eigentliche Problem der Trennung von physischem Strom und Zertifikat bleibt bestehen. Die Herkunftsnachweise von Norwegen sind rechtlich sauber, aber sie schaffen dennoch einen potenziell irreführenden Eindruck bei den Verbrauchern, die möglicherweise davon ausgehen, dass der grüne Strom auch tatsächlich aus ihren lokalen Energiequellen stammt.

Fazit

Die norwegische Praxis, Grünstromzertifikate auf den europäischen Markt zu bringen, wirft wichtige Fragen zur Wirksamkeit des RED II-Systems und der langfristigen Integrität der Energiewende auf. Obwohl Herkunftsnachweise eine wichtige Rolle im Übergang zu erneuerbaren Energien spielen, müssen sie mit Vorsicht eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass sie nicht nur zur kosmetischen Verbesserung von CO₂-Bilanzen verwendet werden. Norwegen profitiert wirtschaftlich von dieser Praxis, jedoch sollte der Fokus stärker auf den physischen Ausbau erneuerbarer Energien in den Ländern liegen, die diese Zertifikate erwerben. Andernfalls droht das Risiko, dass die tatsächliche Energiewende ins Stocken gerät und nur auf dem Papier voranschreitet.

Für weitere Informationen sprechen Sie gerne Herrn Prof. Dr. Sven-Joachim Otto an.