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Überblick
Der EU-Ministerrat hat am 21.05.2024 eine große Reform des europäischen Strommarktes angenommen. Damit gibt die EU nach einem langen Gesetzgebungsverfahren grünes Licht für die Umgestaltung des europäischen Strommarktes. Im Wesentlichen soll die Energiewende im Sinne des Green Deals beschleunigt werden, zugleich der Verbrauchschutz im Energiesegment gesteigert werden und schließlich erneute Preisschocks bzw. Krisensituationen im Energiesektor wie nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 vorgebeugt werden. Nach der nun erfolgten förmlichen Annahme durch EU-Parlament und Ministerrat treten die neuen Vorschriften mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
Hintergrund
Die Europäische Union reagiert mit der neuen Strommarktreform auf die Folgen der russischen Invasion auf die Ukraine und bezweckt mit der neuen Reform eine Prävention für ähnlich angelagerte Krisensituationen. Bedingt durch den enormen Preisanstieg der fossilen Brennstoffe im Jahr 2022 stieg auch der Strompreis aufgrund der immer noch hohen Abhängigkeit der EU-Mitgliedstaaten von fossilen Energieträgern. Mit der umfassenden Energiemarktreform will die EU nun die Abhängigkeit der Strompreise von Preisen für fossile Brennstoffe verringern, mehr Preisstabilität sichern und gleichzeitig den Verbraucherschutz stärken.
Rückblick
Die EU-Kommission legte als einen weiteren Teil des europäischen Green Deals bzw. des REPowerEU-Plans im März 2023 das Gesetzespaket zur Überarbeitung der Gestaltung des Strommarktes den beiden gesetzgeberischen Organen – EU-Parlament und Ministerrat – vor. Im Detail sollen durch das Reformpaket die Elektrizitätsverordnung, die Elektrizitätsrichtlinie und die REMIT-Verordnung geändert werden. Die Initiative der Kommission ruht auf der politischen Forderung der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, eine Reform zur Sicherung der europäischen Energiesouveränität und der Realisierung der Klimaneutralität vorzulegen. Nach der vorläufigen Einigung im Dezember 2023 ist in dieser Woche die Reform nun endgültig beschlossen worden.
Dynamische Stromtarife
Durch die Reform sollen Verbraucher auf eine größere Auswahl von Vertragen zugreifen dürfen. Einerseits ermöglicht die Reform eine Abschlussmöglichkeit von dynamischen Stromtarifen. Bislang wird bei gewöhnlichen Stromtarifen derselbe Arbeitspreis pro Kilowattstunde berechnet, ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Herstellungskosten. Durch die Verpflichtung zur Bereitstellung von dynamischen Stromtarifen soll die Inanspruchnahme von günstigeren Tarifen zu Nachtzeiten gewährleistet und gefördert werden und dadurch Einsparungsmöglichkeiten für Verbraucher geschaffen werden. Bereits ab 2025 werden die Stromanbieter verpflichtet, diese Vertragsmöglichkeit den Verbrauchern anzubieten.
Strompreisbindung / Verbraucherschutz
Andererseits schafft die Reform auch die Möglichkeit eines Vertragsabschlusses mit einer langfristigen und sicheren Strompreisbindung mit dem rechtlichen Verbot von nachträglichen Preisänderungen. Damit reagiert die EU auf die zahlreichen einseitigen Preiserhöhungen der Stromversorger im Zuge der Energiekriese 2022. Weiterhin werden die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, einen „Versorger letzter Instanz“ einzurichten. Sinn und Zweck dieses Novums ist der Schutz von finanziell schwächeren Verbrauchern vor Versorgungsunterbrechungen/Stromsperren bei Nichtzahlung des Strompreises. Die detaillierte Ausarbeitung dieses Konstruktes obliegt jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten.
Eingrenzung von Strompreisschwankungen / zweiseitige Differenzverträge
Die neue Energierechtsreform will zudem Strompreisschwankungen stärker durch die Einführung von zweiseitigen Differenzverträgen (CfD) reduzieren. Dabei soll jeder Mitgliedstaat – in Deutschland wäre es die Bundesnetzagentur – mit den Energieproduzenten eine Strompreisspanne festlegen, unter welcher sich die Strompreise bewegen dürfen. Soweit der Strompreis unter dieser Spanne liegt, erstattet der Staat den Energieproduzenten die Differenz, liegt der Strompreis über der festgelegten Spanne, müssen die Energiehersteller dem Staat die anfallende Differenz erstatten.
Hintergrund dieser Maßnahme ist die Förderung von neuen Stromerzeugungsanlagen durch Windenergie, Solarenergie, geothermische Energie, Wasserkraft (ohne Speicher) und Kernenergie. Durch die Schaffung von zweiseitigen Differenzverträgen bezweckt der europäische Gesetzgeber die Sicherung einer Mindestrendite für die Investoren von den oben genannten Stromerzeugungsanlagen, anderseits sollen exzessive Kostensprünge in einem weiteren Krisenfall abgefedert und verhindert werden. Durch die Einführung von Differenzverträgen sollen Investoren dadurch auch bekräftigt werden, mehr in erneuerbare Energien zu investieren und dabei kein hohes Investitionsrisiko in Kauf zu nehmen. Im Ergebnis sollen durch dieses Instrument langfristig deutlich mehr erneuerbare Energieträger gebaut werden und dadurch die Senkung der Strompreise bewirkt werden. Die EU setzt sich bis zum Jahr 2030 das Ziel, dass mindestens 42,5 % des Stromverbrauchs in der EU aus erneuerbaren Energien produziert wurde. Nach dem Willen der Kommission und des Ministerrates soll dieses Ziel vor allem durch CfD-Verträge sichergestellt werden.
Die Reformvorschriften beinhalten zu der Einführung von CfD-Verträgen eine Übergangsfrist von drei Jahren, weswegen erst ab 2027 dieses Instrument in der Praxis eingesetzt werden wird.
Ausbau der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)
Schließlich bewirkt die Reform eine bessere Überwachungsmöglichkeit der Integrität und Transparenz des europäischen Energiemarktes. Damit will die EU sicherstellten, dass Verbraucher in der EU von transparenten Preisgestaltungen und wettbewerbsorientierten Märkten profitieren.
Fazit
Mit der neuen Strommarktreform setzt die Europäische Union die Verwirklichung des von ihr ausgerufenen Green Deals fort. Daneben schafft die Union auch neue Präventivmaßnahmen für Krisensituationen. Zurecht kann man davon ausgehen, dass diese Reform eine umfangreiche Änderung des europäischen Strommarktes beinhaltet und sowohl Verbraucher als auch Energieerzeuger betrifft.
Für Unternehmen im Energiesektor bedeutet die neue Reform einen neuen und umfassenden Regulierungsaufwand. Sprechen Sie Prof. Dr. Sven-Joachim Otto gerne dazu an!